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Aikido Kobukan

kobukan

Dialog: Shinjiro Mori vs. Tatsuru Uchida

21.10.2006 / Planung: Asahi Culturschool Osaka


Uchida: Ich verstehe TANTOU, das den Kernpunkt in der Übung von Hanshi-Yiquan ausmachen soll,  nicht besonders gut. Könnten Sie es mir bitte erklären.

Mori: Ja. Wir heben die Hände, die an der Körperseite hängen, einfach ganz natürlich hoch. Diese Bewegung ist, so zu sagen, die Primzahl der Bewegung, die man nicht weiter teilen kann. Wenn man sie trotzdem versucht zu teilen, müsste man etwa die Bewegungen der Deltamuskeln und ähnliches erwähnen. Abgesehen davon drückt diese Bewegung etwas Natürliches aus, das man nicht mehr antasten kann. Durch diese Übung soll ein Schüler zu der Erkenntnis gebracht werden, dass seine Bewegung nicht natürlich ist.

Uchida: Was heißt das - dass man die Hände nicht hochheben kann?

Mori: Dass man z.B. im täglichen Leben die Stäbchen hebt, ist eine natürliche Bewegung, nicht wahr? Das kann jeder, ohne etwas besonderes zu denken. Aber solch eine Bewegung wird plötzlich zu einer Unnatürlichen, sobald man sie mit Bewusstsein zu tun versucht. Die Bewegung bleibt natürlich, wenn sie ein Ziel hat. Wenn man aber bloß steht und dann die Anweisung bekommt, die Hände nur hochzuheben, tut man eine andere Bewegung, denn man sieht in dieser Bewegung keine Notwendigkeit und so versucht man sie künstlich zu kontrollieren. Was hier verlangt wird ist nicht eine solche kontrollierte Bewegung, sondern eine natürliche, egal ob sie ein Ziel hat oder nicht. Sobald der Kopf anfängt zu denken, kann man sich nicht mehr natürlich bewegen. Man versteht, dass das Hände-Hochheben oder das In-den-Arm-Nehmen wirklich schwierige Sachen sind. Das Prinzip, das Hanshi -Yiquan von Anfang bis Ende sucht, ist die Natur. Wenn man künstlich handelt, verfehlt man die Natur. So muss man zuerst an sich selbst entdecken, dass man es nicht kann und sich die Frage stellen, was man eigentlich machen soll. Dafür ist diese Übung da.

Uchida: Das stimmt. Wenn man einen konkreten Gegenstand vor sich findet und ihn benutzt, bleibt die Bewegung natürlich. Die Bewegung ohne Gegenstand ist aber schwierig. Ich möchte zu diesem Thema noch etwas weiteres anpacken. Es gibt auch bei der Behandlung der Gegenstände die Differenz zwischen dem Natürlichen und dem Unnatürlichen. Wenn man annimmt "hier bin ich und dort ein Feind", wie zum Beispiel beim Aikido, und sich die Frage stellt, was für ein Verhältnis man zwischen dem Feind und sich selbst aufbauen sollte, dann kommt man selten auf die Idee, dass schon eine solche Fragestellung nicht die richtige sein könnte. Selbst wenn man Jahre lang übt, kann man nie den Feind überwältigen, solange man in der Dimension denkt, in der es den Feind und ein Ich gibt. Was soll man dann tun? Es hört sich nach Idealismus an, wenn man sagt: es gibt weder den Feind noch mich. In Wirklichkeit verschmelze ich im Augenblick des Kontakts durch meine Technik mit dem Feind, unverkrampft und unbefangen. Wir reden von der Natur, und es gibt dort sowohl Gewicht als auch Balance. Durch das Gewicht gibt es - auch in der Natur - Spannungen, und somit auch eine Belastung der Balance. Auch die Einwirkung unerwarteter Faktoren verursacht sofort entsprechende Systemänderungen. Dabei verhält es sich nicht so, dass man zuerst den Gegenstand greift, in der Absicht ihn zu heben, und dann die nötigen Informationen ins Gehirn schickt und dort so koordiniert, dass die Muskeln ihn richtig heben können. Statt dessen bildet man schon in dem Augenblick der Berührung  mit dem Gegenstand eine ......

Mori: Struktur

Uchida: Jawohl! Der Gegner und ich bilden eine Struktur, in der jeder ein Element ist und aneinander balanciert. Im Augenblick der Berührung gibt es an der Kontaktfläche einen Gegensatz, der aber zusammenschmelzen soll. Meister Tada hat einst gesagt, dass es in der Bewegung einen süßen Geschmack gibt. Anfangs habe ich das nicht richtig verstanden, aber später leuchtete es mir irgendwann ein. Ein Ausdruck wie "die weiche Bewegung" reicht dafür nicht aus. Denn der süße Geschmack ist eine zeitliche Erscheinung. Wenn man etwas Süßes sieht oder riecht und es dann verzehrt, gibt es einen Vorgeschmack, dann beim Essen den Geschmack und schließlich nach dem Runterschlucken bleibt ein Nachgeschmack im Mund. Der süße Geschmack existiert nicht nur bei dem Kauen und Runterschlucken, sondern es gibt außerdem Vor- und Nachgeschmack. Man kann sagen, dass er ein ganzer Zusammenhang ist. Vor der Berührung gibt es schon einen Geschmack und danach bleibt dann noch ein Geschmack von dem nicht mehr vorhandenen. Man kann vielleicht die fließende Bewegung gleichermaßen erklären. Mein Körper rechnet vor dem Greifen irgendwie die Belastung durch den Gegenstandes voraus. Er reagiert in einem Kontext sehr genau. Nach dem Loslassen des Gegenstandes korrigiert er z.B. die - durch die Handlung entstandene - Verschiebung der Körperachse. Der Körper integriert einen Gegenstand, bildet mit ihm eine Struktur und löst sie dann wieder auf. So entsteht bei einer Handlung eine Kette von Bewegungen.

Mori: Das stimmt. Wenn man das aber mit dem Kopf nachzuvollziehen versucht, irrt man sich. Sobald man die Bewegung entlang der Zeit-Achse ausrichtet, d.h. sobald der subjektive Gedanke die Bewegung beeinflusst, geht die natürliche Bewegung, die mehrfache Elemente der Dreidimensionalität beinhaltet, sofort in flache zweidimensionale Bewegungen über. Wenn man z.B. ein Glas greift, vollzieht der Körper - nur bei der Handlung des Greifens - mehrere Aktionen gleichzeitig. Wenn man dabei an die nötigen Aktionen denkt, kann man das natürliche Handeln mit dem Gegenstand nicht realisieren: wie schwer ist das Glas, in wiefern soll man nach den Greifen die Körperachse verschieben, ... ?.

Der Körper ist in jedem Augenblick der jeweiligen Situation entsprechend absolut da. Er fließt nicht entlang der Zeit-Achse zweidimensional logisch, sondern er bildet eine Folge voneinander unabhängiger Einzelner.

Ich glaube, es ist so zu verstehen: Wir sagen "es ist uns völlig egal, ob ein Gegner da ist oder nicht", weil wir wissen,  wenn man einen Gegner da sein lässt, haftet unser Bewusstsein schließlich an ihm an. Die Bewegung endet am Gegner. Man kann die Bewegung aber durch unseren endlichen Behälter, den Körper, unendlich weiter produzieren. Wenn man z.B. einen Gegenstand, der in der Ferne liegt, haben möchte, muss man sich dorthin bewegen. Man bekommt ihn sonst nicht, selbst wenn man mit Leib und Seele betet oder ihn begiert. Man kann aber hingehen und ihn holen. Man kann seine Bewegung unendlich erweitern, wenn man sich nicht von den eigenen Gedanken unterjochen lässt. Man bestimmt selbst den Bewegungsumfang. Die freie Entfaltung wird unmöglich, indem man denkt. Wenn man ein Paar Stäbchen in die Hand nimmt und denkt "sind sie wohl etwa 500g schwer? Wenn es stimmt, werde ich sie mit der entsprechenden Kraft heben.". So funktioniert es leider nicht. Das ist absolut unmöglich durchs Denken. So genau kann man den Gegenstand nicht halten. Man kann es aber in Wirklichkeit problemlos schaffen. Der Körper ist so beschaffen, dass er es kann. Wenn man aber denkt, läuft der Körper dem Geschehnis hinterher und kann deshalb nicht dem Augenblick entsprechen. Unser Kopf ist wie Computer (das ist selbstverständlich, denn der Computer ist eine Nachahmung des Gehirns).

Ein Computer vergleicht zwischen zwei Elementen, 0 und 1, und entscheidet sich für eines. Er kann jedoch in einem Augenblick nur ein Element behandeln. Die Rückkopplung des Körpers ist zwar in Vergleich zu denen des Gehirns äußerst langsam, er kann aber in jedem Augenblick mehrere Elemente des "jetzt" gleichzeitig behandeln: zum Beispiel atmend, sitzend, ein Paar Stäbchen in der Hand betätigend, den Mund bewegend, die Speise runterschlucken. Dies schafft der Kopf allein nicht. Der Computer kann in kurzer Zeit eine Lösung geben. Das ist deswegen so, weil der Computer für jede einzelne Operation nur kurze Zeit braucht. Es bedeutet nicht, dass er in einem Augenblick mehrere Elemente gleichzeitig verarbeiten kann. Die ganze Wirklichkeit des "Jetzt" kann weder das Denken noch der Computer fassen. In dem Augenblick des Sagens und Denkens ist das "Jetzt" schon vergangen. Durch das Denken kann man das "Jetzt" nicht leben. Das Denken läuft dem Körper, der das "Jetzt" lebt hinterher oder ist eine Illusion dessen, was das "Jetzt" ausmacht. Inwiefern kann man dem Körper vertrauen? Um dem Körper glauben zu können ist es wichtig, dass man den Körper befreien und nur tun lassen kann. Ich glaube, dass dies das Thema des Hanshi -Yiquan ist.

Es ist jedoch unnatürlich und illusorisch, wenn man nur die Natur hervorhebt und das Wissen verneint. Man muss dem menschlichen Denken sein Recht geben. Denn wir können die Tatsache, dass die Menschheit durch ihr Wissen den Gipfel im Existenzkampf erobern konnte, nicht leugnen. Das Problem ist eher der Glaube, dass das Denken den Körper in der Gewalt haben kann. Wenn das Wissen Maß hält, arbeitet der Körper natürlich adäquat. Wir erzählen uns untereinander oft folgenden Witz: Der Kopf ist ein dummer Firmenchef und der Körper ein fähiger Angestellte. Der Chef versteht gar nicht, was der Angestellte tut. So steckt er seine Nase überall rein. Es wäre besser wenn er bloß Comics läse und blind seine Unterschrift gäbe. Die Firma würde so besser funktionieren. Wir finden z.B. durch TANTOU von Yiquan die aufdringliche Arbeit des Kopfes heraus. Wir üben deshalb eine extrem einfache Sache wie TANTOU, um zur Körpererkenntnis (Tainin) zu gelangen, dass wir selbst den Sachverhalt nicht verstehen.

Uchida: Ich benutze oft die Dualitätstheorie des Gehirn und des Körpers. In Wirklichkeit ist aber die körperliche Bewegung ohne Beteiligung das Gehirns undenkbar. Das Gehirn kontrolliert immer. Die Trennung des Gehirns und des Körpers ist bloß eine Hypothese und ein Märchen. Mann kann aber die Idee der Trennung als Mittel einsetzen, denn man versteht die Sache dadurch leichter und kann auch dadurch den Körper besser als zuvor benutzen.  Diese Trennung ist in Wirklichkeit........... Ich glaube, es gilt auch beim Hanshi-Yiquan. Einer, der, weil er mit einem mageren Wortschatz ausgestattet ist seine eigen Bewegung nicht verbalisieren kann, kann eine zufällige wunderbare Bewegung leider nicht wiederholen, denn er kann seine Bewegung nur in seinem langweiligen Wortschatz auffassen. Es handelt sich schließlich um ein Ballfangspiel zwischen dem Wissen und dem Körper. Sowohl Kono Sensei als auch Mitsuoka Sensei besitzen logischerweise einen bemerkenswerten Wortschatz. Ich kenne kaum jemanden, der so viel redet wie die beiden. Sie erfinden einen Begriff nach dem anderen, um zu verbalisieren, was ihre Körper gerade erfahren. Oft zitieren sie unverständliche Phrasen aus alten Texten und meinen, dass sie vielleicht der Bewegung entsprächen. Selbst wenn sie selbst es nicht verbalisieren können, holen sie etwas provisorisches von irgendwoher und stellen es einfach hin. In dem Buch "Forschung der Kampfkunstwissenschaft" geht das so weit, dass man bei dem Zitat selbst nicht mehr den Sinn verstehen kann. Sie wählen intuitiv passende Zitate aus, statt klar verständlicher. Wenn es sich um einfach verständliche Sätze wie eine Eselsbrücke handelte, könnte jemand oder sogar sie selber es für plausibel halten. Um dieses Missverständnis zu vermeiden, versuchen sie mit Absicht unverständliche Phrasen zu zitieren.

Mori: Sie wollen den Sachverhalt nicht zu etwas einfachem degradieren.

Uchida: Sie bringen die Sache auch mit Gewalt außer Gleichgewicht. Sowohl Kono Sensei als auch Mitsuoka Sensei manipulieren das Wort, in dem sie sagen es sei ganz stabil, weil es wackelig ist.

Mori: Hanshi-Yiquan zitiert oft aus den Grundlagentexten Laozi und Zhuanzi. Laozi erläutet in seinen mehr als 80 Kapiteln des "Tao-te-kin" den Weg (Tao). Was man aber dort findet ist nichts anderes als dass "Tao eigentlich unmöglich ist, mit den Worten auszudrücken". Das bedeutet, dass selbst ein Philosoph wie Laozi das Wesentliche, je wesentlicher der Sachverhalt ist, mit dem geläufigen Wort auch nicht auszudrücken vermag.

Schließlich kann er auch nichts tun als gleichbedeutende Wörter zu wiederholen. Ist es nicht so, dass das Wort, das dem Wesen nahe zu liegen scheint, selbst eine Übersetzung benötigt, während das verständliche und umgängliche Wort wenig vom Wesen beinhaltet?

Wenn man auf das Wesen nicht direkt hinweisen kann, versucht man, nach dem Prinzip "Eile mit Weile" sein gesamtes Bild zu skizzieren, indem man aus verschiedenen Ecken gewonnene Wörter zitiert und miteinander verwebt.

Uchida: Wenn man etwas gemerkt hat, möchte man es verbalisieren, um es auch sich selbst zu erklären. Wenn man es aber leichtsinnig erledigt, wird der Sachverhalt dadurch abgeschlossen. Man möchte eigentlich das Ende offen lassen..... Deshalb ist es immer sehr schwer zu verstehen. Es wird auch immer schwieriger. "Die Forschung der Kampfkunstwissenschaft" scheint mit jedem weiteren Kapitel, immer schwieriger zu werden. So kann man zum Beispiel den Dialog zwischen Kuroda Sensei und Kono Sensei nicht mehr fortsetzen. In einem 2. oder 3. Band würde man den Inhalt nicht mehr verstehen. Wenn es sich um ein solch hohes Niveau handelt, reichen die geläufigen Worte und das normale Verständnis für den menschlichen Körper nicht mehr aus. Man muss auf eigene Weise die Sache bis zum Ende treiben, um sie verdauen und einigermaßen begreifen zu können, sonst versteht man sie nicht.

Mori: Hanshi-Yiquan hat aus diesem Grund die Eigenschaft, die körperliche Übung und die logische Schulung gleichermaßen für wichtig zu halten.

Uchida: Es ist wirklich einmalig!

Mori: Die Theorie des Hanshi-Yiquan ist aber nicht für die Belehrung der Menschen da. Es kommt bei der Übung spontan vor, dass man die Bewegung, die der Theorie entspricht, zeigt. Der Lehrer sagt, "es ist richtig". Daraufhin heftet man das Wissen an die Bewegung, d.h. glaubt die Bewegung verstanden zu haben, wodurch die natürliche Bewegung zur Bekannten degradiert wird. Das Wissen möchte gern das Erkennen haben. Wenn man zu seiner eigenen Tat keine plausible Erklärung findet, beschwert sich das Wissen über die mangelnde Sicherheit. Es versucht diese Unsicherheit zu lösen, indem es das Unbekannte als Erkanntes erklärt, d.h. vorschnell zum Bekannten degradiert. Hanshi-Yiquan verlangt stattdessen TAININ(Körper-Erkennen). Tainin ist das Verstehen des Unbekannten als solches durch den Körper, während die Erkenntnis das Verstehen des Unbekannten durch das schon Bekannte ist. Die Theorie des Hanshi-Yiquan ist dafür da, das Wissen durch den Körper (TAININ) vom Bekannten zu befreien, d.h. das gewonnene TAININ nicht zur Erkenntnis degradieren zu lassen. Diese Theorie ist, so glaube ich, diejenige, wodurch man sich befreien und an sich glauben kann.

Uchida: Es handelt sich schließlich um die Art und Weise, wie man die Sache zum Ausdruck bringt. Laozi und Zhuanzi benutzen Paradoxe. Ich selber neige dazu, poetische Ausdrücke zu verwenden. Im täglichem Leben ist es oft so, dass das Eine dem Anderen begegnet und sich dann sofort wieder von dem eben getroffenen Anderen entfernt. Entsprechend begegnet man auch der Bewegung des Angreifers. So entsteht hier ein feindseliges Verhältnis: er schlägt und ich wehre mich oder weiche ihm aus. Das ist aber schwach. Stattdessen möchte ich erwarten, dass man die Hand auf natürlicher Weise nur nach vorn streckt. Ich habe überlegt, was ich sagen soll. Mir fiel eine Szene unter dem regnerischen Himmel ein. Man wartet unter dem Dach den Regen ab. Man streckt die Hand aus, um zu wissen, ob es noch regnet. Bei dieser Handlung muss der Körper auf den winzigen Input reagieren. Vermutlich verhält sich der Körper als Waage. Die Sensibilität der Hand kann man nicht grenzenlos erhöhen. So richtet man die Körperachse auf und balanciert in sich. Um eine winzige Änderung, wie z. B. die Wahrnehmung des 1 Mikron Regentropfens, wahrnehmen zu können, steht man auf einen Punkt und neigt sich gegenüber dem winzigen Input. Wenn man die Hand in Erwartung des Regens ausstreckt, formt der Körper sich zu einer Linie. So fiel mir bei dieser Übung ein, folgendes zu sagen: "Bitte versuchen Sie, die Hand auszustrecken, mit der Vermutung, es könne der erste Regentropfen aus den dunkeln Wolken fallen." Dann konnten es fast alle 30 Schüler, die da waren. Wenn man denkt, man solle die Körperachse aufrichten und aus dem eigenem Leib eine Waage formen, um die Sensibilität des Körpers zu erhöhen, so wird der Körper ganz steif. Wenn das Bewusstsein nur auf einen Punkt, nämlich auf die Kontaktfläche der Berührung zwischen dem Regentropfen und der Handfläche, konzentriert, bekommt der Körper die Freiheit. Dann zeigt der Körper eine natürliche und perfekte Bewegung. In Wahrheit ist jedoch so, dass man die Vorstellung nicht einsetzen darf ........

Mori: Man soll hier gut aufpassen. Es möge einem einmal mit der Vorstellung des Regentropfens gelingen. So ist man dazu geneigt, auch beim nächsten Mal und weiterhin mit derselben Vorstellung zu operieren. So avanciert die Vorstellung, die eigentlich nur ein Mittel sein soll, um das Gefühl zu verstehen, oft zum Hauptthema. Wenn man das Gefühl verstanden hat, soll man es so lassen. Man ist jedoch dazu geneigt, immer wieder dieselbe Vorstellung, hier z.B. Regen, einzusetzen. Es ist nicht nur nicht nötig, sondern könnte uns sogar im Wege stehen. Hanshi-Yiquan macht den Übenden in diesem Hinblick darauf aufmerksam mit dem Wort: "Wenn es da ist, ist es gut, aber mehr auch nicht."

Uchida: Ich verstehe. Das Problem liegt gerade darin, solche Rhetorik anzuwenden, oder?

Mori: Es heißt nicht, das die Rhetorik selbst ein Problem ist, sondern man soll darauf achten, dass die Rhetorik diese Falle mit sich bringt. Natürlich setzt auch Hanshi-Yiquan bei der Erklärung die Rhetorik, wie z. B.: "man solle es so tun, als ob man ein Baby in den Arm nehmen würde" ein. Dort ist die Vorstellung eines Babys aber sekundär. Wichtig ist nur, dass man sich mit solchem Gefühl bewegt.

Uchida: Als ich TANTOU zum ersten mal lernte, dachte ich, dass ich die Form irgendwie kenne. Das ist die Form, mit der man ein Baby in den Arm nimmt. Ein liegendes Baby würde man nie so in den Arm nehmen. Man bildet notwendiger Weise diese Form, so dass der Hinterkopf des Babys an der weichen Stelle des Arms zu liegen kommt. Vielmehr ist die Haltung der Eltern mit dem Baby im Arm die stärkste. Das ist selbstverständlich. Sie ist ohne Zweifel die stärkste Haltung und deshalb in der Lage, sofort reagieren zu können, egal von welcher Richtung etwas zustößt. Soweit ich es durchs Taiji Quan weiß, gehört die Form ein Baby im Arm zu halten, zu den Grundausstattungen der menschlichen Körpertechnik.

Mori: Ich glaube, es ist die stärkste, weil es eine neutrale Haltung ist. Sie ist weder voll zusammengezogen noch voll ausgestreckt. Sie bietet immer noch Möglichkeiten. Man kann von da aus sowohl aufs Drücken als auch aufs Ziehen reagieren. Die Haltung PAO ist gerade das.

Uchida: Obwohl man in Wirklichkeit kein Baby im Arm hat, spürt man bei dieser Haltung das Gewicht. Bei den anderen passiert so etwas nicht.  Es ist wohl im Körper oder in die DNA eingeprägt. Wenn man ein Baby im Arm hält, hat man seine stärkste und sensibelste Position, in der man auf jeden Input sofort reagieren kann. In dieser Haltung, glaube ich, schaut man in die Ferne, hört ganz klar und die Sensibilität der Sinne ist erhöht.

Mori: Die Arme sind gehoben, ohne die Absicht sie zu heben. Das ist der wichtigste Punkt. Man erhöht seine Sensibilität nicht deswegen, weil man etwas tun möchte, sondern wenn es notwendig ist. Sie wird je nach der Situation automatisch erhöht und ihre potentielle Fähigkeit ist da. Notwendig dafür ist nicht das Etwas-Tun-Wollen, sondern das Nur-Etwas-Tun. Dieses "Tun" ist gerade die Bedeutung "Yi" vom Yiquan. Es gibt einen großen Unterschied, z.B. beim Essen, ob man das Stäbchen halten will (Bewegung durch Denken) oder hält (Bewegung durch Yi). Die Resultate der beiden Ausführungen liegen weit auseinander. Hanshi-Yiquan trainiert also Bewegungen mit Yi statt mit Denken - durch TANTOU etc.

Uchida: Man rekonstruiert die Bewegung unter der Unter-Wahrnehmung.

Mori: Man rekonstruiert die Bewegung unter der Unter-Wahrnehmung im Unterbewusstsein. (Lachen)

Uchida: Das ist ja echt interessant. Durch die Übung von Yiquan wird man sicherlich intelligenter, bevor der Körper gesünder wird. Auf der Bewusstseinsebene ist alles, was einen festen Rahmen hat, erstickend. Deswegen zerstört das Bewusstsein ihn. Nun integriert das Bewusstsein Informationen aus dem Bereich der Unter-Wahrnehmung und bildet damit ein neues Schema. Es ist wahrscheinlich als ein Intelligenztraining auch effektiv.

Mori: Mag sein. Es ist aber bloß ein Resultat, das man intelligenter geworden ist. Der Versuch von Yi -Quan besteht vielmehr darin, statt Geist und Körper als zwei Elemente einfach voneinander zu trennen, das Wissen als eine Fähigkeit in der körperlichen Natur anzuerkennen und es mit den anderen Elementen vollständig zum Ausdruck zu bringen. Yi-Quan ist in diesem Sinn etwas Allumfassendes.


Übersetzung:   Hiroshi Higuchi und Susanne Elsas       

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